SCHROTTGRENZE (D) fällt aus, Sänger krank!!


Die Spex schreibt:

Knapp zehn Jahre nach ihrem letzten Album kommt die Hamburger Band Schrottgrenze wieder zusammen und beschert der deutschen Musikszene nichts weniger als das erste queere Indierock-Album. Auf Glitzer auf Beton findet zusammen, was schon lange zusammen gehören sollte. 

Pop spielt gern mit den Geschlechtern. Man muss nicht lange suchen, um auf namhafte internationale Künstler zu stoßen, die das Bild des androgynen Popstars geprägt haben, die in queeren Szenen beheimatet sind und ihre Sexualität ganz selbstverständlich in ihrer Arbeit zum Ausdruck bringen. Aber der (Indie-)Rock scheint nach wie vor eine Bastion machistischer, heterosexueller Männlichkeitsentwürfe. Egal ob introvertiert und depressiv oder selbstbewusst und laut, letztlich ist der Indie-Boy mit seiner Gitarre doch immer eines: straight.

Mit ihrem siebten Album brechen Schrottgrenze dieses Narrativ nun endlich auf. Nach den Anfängen als Peiner Punkrock-Band haben die Mitglieder in Hamburg nicht nur ihren Sound in eingängigem Power-Pop gefunden, sondern sich selbst entdeckt – in der Freiheit des queeren Nachtlebens der Stadt. In diesem Umfeld hat Sänger Alex Tsitsigias auch den Mut zum Coming Out gefunden und ist dem ein oder anderen mittlerweile als Saskia Lavaux bekannt.

Doch wie über diese Erfahrungen texten? Wie im Vers-Refrain-Vers-Schema die Komplexität von Gendertheorien fühlbar machen? Wie fasst man ein Thema an, das so persönlich und gleichzeitig hochpolitisch ist, dass akademisch wie gesellschaftlich heiße Kämpfe darum ausgefochten werden? Über binäre Geschlechtssysteme zu singen, so Alex Tsitsigias selbst, ist „einfach nicht funky.” Bevor er seine Erlebnisse und Ängste in der Musik verarbeiten konnte, musste ein Weg gefunden werden, darüber zu sprechen.

Und so singt Alex Tsitsigias davon, wie es ist, wenn man fehl am Platz ist, wenn man in der Binarität der gesellschaftlichen Konventionen verlorengeht. „Sterne” ist die Hymne für alle ,Anderen’, die sich im „Entweder/Oder” der herkömmlichen Geschlechterbilder nicht erkennen und zugleich der Aufruf: „Lieb’ doch einfach, wen du willst.” Die Songs erzählen von dem Unbehagen im eigenen Körper, wenn es zur Herausforderung wird, in den Spiegel zu blicken. Sie sprechen von der Depression, die einen ans Bett fesselt, genauso wie von der Freiheit der Selbstakzeptanz und den glücklichen Momenten mit anderen Menschen, frei von allen Konstruktionen.

Dabei beweisen Schrottgrenze, dass sie die Jahre genutzt haben, um an der Kunst eingängiger Melodien zu arbeiten und energiegeladene Songs zu schreiben, die in drei Minuten alles gesagt haben. Glitzer auf Beton ist eine Aneinanderreihung inhaltlich wie musikalisch konsequent auf den Punkt gebrachter Songs, die auf eine unaufdringliche Art und Weise von Tsitsigias Lebensrealität erzählen. Aber eben nicht nur. Denn da alle Mitglieder gleichermaßen am Prozess des Schreibens beteiligt waren, ist es letztlich auch Nebensache, wer hier queer ist und wer nicht. Und das ist dann wohl auch die eigentliche Botschaft: dass wir gleich sind.